Carillonkonzert mit Elektronik

Konzert im Rahmen des Festivals für Elektronischer Musik "Inventionen 2005"

3. Juli 2005 um 15 Uhr

Jeffrey Bossin, Carillonneur, Berlin

Tontechnik, Klangregie und Aufbau: Folkmar Hein, Thomas Schneider und Arne Vierck

Elektronisches Studio der Technischen Universität Berlin

 

Programm

 

I.

Acariciando lo áspero (2005) Uraufführung     Mario Verandi

 

II.

Come un acciar che non ha macchia alcuna - Studio sulla luna da Ludovico Ariosto (2005) Uraufführung     Lucia Ronchetti  


III.

Vox veterrima (1988)      Ricardo Mandolini

Uraufführung der vom Komponisten neuüberarbeiteten Fassung

Veranstaltet von CarillonConcertsBerlin in Zusammenarbeit mit dem DAAD und dem elektronischen Studio der Technischen Universität Berlin und mit freundlicher Unterstützung von dem Haus der Kulturen der Welt und der Initiative Neue Musik Berlin e.V.

Lucia Ronchetti, geb. 1963 in Rom, Italien, erhielt ihre musikalische Ausbildung (Klavier und Komposition, elektronische Musik) in Rom (u.a. bei Sylvano Busotti und Salvatore Sciarrino) und Paris (i.a. bei Gérard Grisey und François Lésure); Computermusikausbildung am Pariser IRCAM. 1987-1998 war sie Leiterin des Festival Animato, Rom. Ronchetti erhielt zahlreiche Stipendien und Auszeichnungen, u.a. Ciré Interna­tionale des Arts, Paris; Akademie Schloß Solitude, Stuttgart, als Artist in Residence des Mac Dowell Colony, Peterborough, USA, und jüngst als Composer in Residence des Forums Neues Musiktheater der Staatsoper Stuttgart. 2005 war sie Gast des Berliner Künstlerprogramms des DAAD. In Berlin war sie zu Gast im Elektronischen Studio der Technischen Universität Berlin (1997) und im Studio für Elektroakustische Musik der Akademie der Künste Berlin-Brandenburg (1999). Im August 2004 wurde in Darmstadt ihre Komposition Il sonno di Atys für Viola und Computermusik uraufgeführt, ein Kompositionsauftrag des Experimentalstudios der Heinrich-Strobel-Stiftung des SWR.


Mario Verandi, geb. 1960 in San Nicolas, Buenos Aires, Argentinien, studierte Musik und Informatik 1979-1985 in Buenos Aires und Rosario, Argentinien und 1986-1989 in Barcelona, Spanien im Phonos Electro-acoustic Music Studio. 1992 bis 2000 lebte er in London. 2001 erwarb er seinen Doktortitel im Fach Kompo­sition an der University of Birmingham, England. 2003-2004 war er Dozent an der Freien Universität Berlin. Verandi war Composer in Residence in den Studios von La Muse en Circuit in Paris, im Césaré Studio de Création Musicale in Reims, am ZKM in Karlsruhe und in den Cuenca Electroacoustic Studios in Spanien. 2000 war Verandi Gast des Berliner Künstlerprogramms des DAAD. Er erhielt eine Reihe von Preisen und Auszeichnungen, u.a. den Bourges International Electroacoustic Music Award in Frankreich, den Musica Nova Award in Prag, den CIEJ Musics Electronics Award in Barcelona, den Prix Ars Electronica in Linz, den Stockholm Electronic Art Award, SGAE Electroacoustic Music Award (Spanien) und den ZKM-Komposi­tions-Preis (Europäische Glockentage 2004). Verandis Oeuvre umfasst elektroakustische Musik, Instrumen­talwerke, Kunstinstallationen und Musik für Tanz, Kurzfilme und Theater sowie Radiostücke. Das New Yorker Label EMF (Electronic Music Foundation) hat Verandis Musik auf der CD Distant Shores (2001) veröffentlicht. www.marioverandi.de

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Ingrid Beirer und Lucia Ronchetti

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Jeffrey Bossin, Lucia Ronchetti und Mario Verandi

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Folkmar Hein und Arne Vierck am Computer 


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Programmheft zu den Inventionen 2005


Lucia Ronchettis Stück für Carillon und Elektronik Come un acciar che non ha macchia alcuna – Studio sulla luna da Ludovico Ariosto basiert auf einem Gedicht des italienischen Schriftstellers Ludovico Ariosto, das die Geschichte einer phantastischen Reise zum Mond auf dem Rücken eines Greifes erzählt. Neben der Elektronik erklingen Aufnahmen eines Sprechers, der Auszüge aus Ariostos Gedicht vorträgt. Das Carillon setzt mit einem einzelnen, tiefen Ton ein, der in bestimmten Abständen wiederholt wird, und es folgen einige chromatischen kandenzaartigen schnell abwärtslaufenden Gesten. Das Stück gipfelt in einer Passage, die sich zuerst abwärts bewegt bis sie einen dynamischen Höhepunkt auf den tiefsten Glocken erreicht, gefolgt von einer Reihe aufsteigender chromatischer schneller Läufe aus jeweils drei Noten. Danach wird eine Figur aus den beiden Tönen h1 und c2 in bestimmten Abständen fortwährend wiederholt, begleitet zuerst von einem absteigenden Tremolo und dann von zwei kadenzartigen Figuren aus einer ständig wiederholten Reihenfolge von einigen eng beieinanderliegenden Tönen. Zum Schluß steigt eine chromatische Tonleiter aus halbe Noten bis zum tiefsten Ton des Carillons herab, begleitet von kurzen Figuren, die wie Fragmente der Kadenzen wirken und deren Spannung allmählich auflösen. Die Elektronik besteht aus sehr tiefen und sehr hohen Glocken- und Pfeiftönen, die in bestimmten Abständen mehrmals vereinzelt erklingen und jedes Mal von einem langgezogenen diffusen Gemisch aus weichen, zarten, leisen, langsam vergehenden Klängen begleitet werden, sowie aus Auszügen aus Ariostos Gedicht, die im Flüsterton vorgelesen werden. Die Elektronik wirkt dabei unwirklich, unheimlich, gespenstisch, märchenhaft.

 
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Auszug aus Acariciando lo áspero von Mario Verandi
 

Mario Verandis Werke Acariciando lo áspero für das Berliner Carillon und Elektronik umfaßt drei kurze Sätze. Die Elektronik greift z. T. auf Klangmaterial aus seinem für das Zentrum für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe (ZKM) geschaffene Stück Bellscape zurück, das auf Glockenaufnahmen, die Verandi in Barcelona, Berlin und Birmingham selber machte, sowie auf den Aufnahmen vom Carillon in Berlin-Tiergarten aus dem Klangarchiv des Elektronischen Studios der TU Berlin basiert. In Acariciando lo áspero erklingt die Elektronik fast durchgehend und ist sehr transparent. Der Titel – „Das Rauhe streicheln“ bezieht sich auf das Spielen von Glissandi auf einer Klaviertastatur – also auf die Erzeugung von unreinen, rauen Klängen mit einer zarten Handbewegung. Dementsprechend besteht dieses Werk aus leichten, zarten, diffusen, langgezogenen und manchmal herauf- und herabgleitenden Klängen, ergänzt durch vereinzelte Glockenschläge und wirbelnde Töne. Dazu spielt das Carillon kurze einstimmige Motive, Phrasen, Figuren, Läufe, Arpeggien, Intervalle oder Akkorde in unregelmäßigen, kurzen Abständen. Es entsteht ein Dialog zwischen Carillon und Elektronik; der Carillonneur muß wie bei den Stücken von Giannotti, Osborn und Ronchetti neben dem Partiturlesen stets einen Blick auf eine Stoppuhr richten. Während Osborns Elevation das ideale Anfangerstück für Carillon und Elektronik darstellt, gehören die drei kurze und leichte Sätze von Acariciando lo áspero zum nächsten Schwierigkeitsgrad von Werken dieser Gattung, denn die Spielfiguren sind weitaus komplexer und länger als die von Elevation und der Carilllonneur muß mit der Elektronik genau zusammenspielen.